China – das sind wir alle

Tages-Anzeiger, 16. Februar 2008
Peter Bosshard (*)

Der chinesische Wirtschaftsboom sendet Schockwellen nicht nur durch die Weltwirtschaft, sondern auch die Őkosysteme des Planeten. Chinesische Firmen fördern Erdöl in Afrika und Zentralasien, bohren nach Gas in Burma, bauen Staudämme in der Mekong-Region, schlagen Holz in Indonesien und schürfen nach Erzen im Kongo. Dabei kümmern sie sich häufig nicht um internationale Umwelt- und Sozialstandards.

Die Investitionen im Sudan illustrieren die sozialen, ökologischen und menschenrechtlichen Nebenwirkungen der chinesischen Expansion. Für einen chinesischen Grossstaudamm im Land, den ich aus eigener Anschauung kenne, werden 70’000 Menschen vom fruchtbaren Niltal in die Wüste umgesiedelt. Die China National Petroleum Corporation (CNPC) investiert in die Őlförderung des Sudans, seit sich westliche Firmen unter öffentlichem Druck wegen dem jahrzehntelangen Bürgerkrieg zurückgezogen haben. Die CNPC setzte sich beim Bau einer Pipeline im Land über sämtliche Umwelt- und Sozialstandards hinweg. Die chinesische Regierung hielt in der UN jahrelang ihre schützende Hand über das sudanesische Unrechtsregime, um ihre Őlinteressen nicht zu gefährden. Unterdessen liefert der Sudan gut 5 Prozent des chinesischen Őlverbrauchs.

Die Praktiken chinesischer Investoren haben breite Empörung ausgelöst. Ich teile die Empörung, und habe sie in Peking selbst vorgebracht. Allerdings mischt sich in die westlichen Proteste oftmals eine Portion Scheinheiligkeit. Denn China – das sind wir alle.

Bei ihrer globalen Expansion wenden chinesische Firmen an, was sie von westlichen Konzernen gelernt haben. Diese investieren nicht zuletzt in China, weil die Umwelt- und Sozialstandards dort tiefer sind als in ihren Herkunftsländern. So wurde das Land zur Fabrik – und zum Schornstein – der Welt.

China ist relativ arm an Rohstoffen. Um die globale Fabrik in Betrieb zu halten, investieren chinesische Firmen in Bergbau-, Ől- und Holzschlagprojekte rund um die Welt. In diesem globalen Rohstofftransfer ist China in vielen Fällen nur Zwischenstation. Rund 70 Prozent des Holzes, welches China importiert, verlassen das Land wieder in Form von Fertigprodukten. Bei vielen Erzen dürfte die Bilanz ähnlich aussehen. Das Holz, welches chinesische Firmen in Indonesien, Russland und Westafrika oftmals illegal schlagen, steckt auch in unseren Büchergestellen. Das Kupfer, welches China in Sambia unter Missachtung der Arbeitsrechte fördert, finden wir auch in unseren Fernsehgeräten. Und zur Herstellung dieser Güter dient Ől aus Ländern wie Sudan und Angola.

Bei den meisten Rohstoffen ist der Eigenverbrauch der chinesischen Bevölkerung noch bescheiden. Auf 1000 Einwohnerinnen und Einwohner zählt China elf Autos. In der Schweiz sind es rund 500. Bereits heute besitzt China strengere Vorschriften über den Benzinverbrauch als die Schweiz.  

2007 wurde das Reich der Mitte zum Land mit den weltweit höchsten CO2-Emissionen. Doch auch in der CO2-Bilanz spiegelt sich die Rolle Chinas als Schornstein der Welt. Rund 30 Prozent der chinesischen Emissionen entfallen auf Güter, welche das Land für den Weltmarkt produziert. Umgekehrt importiert die Schweiz solche “grauen” Emissionen. Pro Kopf der Bevölkerung betragen die CO2-Emissionen in China rund zwei Drittel der Schweizer Emissionen. Werden Importe und Exporte miteinberechnet, belaufen sich die chinesischen Emissionen aber auf weniger als ein Drittel des schweizerischen Niveaus. China verrichtet also Schmutzarbeit für die Schweiz und den Rest der Welt.

Westliche Firmen und Banken beklagen sich gerne, dass ihnen die skupellose chinesische Konkurrenz in Afrika und anderen Regionen den Rang abläuft. Auch bei diesen Klagen spielt oft eine Portion Scheinheiligkeit mit. Wie die Entwicklungsorganisation Erklärung von Bern nachgewiesen hat, setzen sich auch Schweizer Firmen wie Glencore oder Syngenta bei ihren Auslandgeschäften immer wieder über internationale Standards hinweg.

Selbst wohlreputierte internationale Banken und Konzerne arbeiten regelmässig bei fragwürdigen chinesischen Geschäften mit. Die UBS spielte im vergangenen November eine führende Rolle bei der Beschaffung von 9 Milliarden Dollar Aktienkapital für eine Tochterfirma der chinesischen Őlfirma CNPC. Am chinesischen Staudammprojekt im Sudan, welches gegenwärtig die lokale Bevölkerung buchstäblich in die Wüste schickt, beteiligen sich auch die Firmen Alstom aus Frankreich, ABB aus der Schweiz und Lahmeyer aus Deutschland.

Das Fehlverhalten westlicher Firmen entschuldigt nicht die skandalösen Praktiken von chinesischen Infrastruktur- und Rohstofffirmen – und umgekehrt. Wo immer Umwelt- und Menschenrechte auf dem Spiel stehen, sind die Verantwortlichen ungeachtet ihrer Herkunft zur Einhaltung internationaler Standards verpflichtet. Die chinesische Regierung hat in jüngster Vergangenheit erste Schritte in diese Richtung unternommen. Sie hat Sozial- und Umweltstandards für ihre Firmen im Ausland verhängt, übt diplomatischem Druck auf die Regierung im Sudan aus und entsendet Blauhelme in die ganze Welt. Sie ist aber sensibel bezüglich doppelter Standards. Wir sollten uns für weitere chinesische Fortschritte einsetzen – aber im Bewusstsein für die eigene Mitverantwortung und ohne Überheblichkeit.

(*) Peter Bosshard ist Politikdirektor von International Rivers, einer internationalen Umweltorganisation in Berkeley/USA. Der englische Originaltext dieses Artikels erschien im San Francisco Chronicle vom 8. Februar 2008.