Wasserkraftwerke für „Carbon Credits“

By: 
Joe McDonald and Charles J. Hanley
Date: 
Sunday, January 25, 2009

Originally published in Germany's Focus Online 

Der lukrative Handel mit Klimaschutz-Gutschriften veranlasst China dazu, immer mehr Staudämme zu bauen. Die „Carbon Credits" werden von europäischen Großkonzernen gekauft, um die Verpflichtungen zur Reduzierung der Treibhausgase zu erfüllen. Das hat unter anderem großangelegte Umsiedlungsprogramme der chinesischen Landbevölkerung zur Folge.

In der Nähe der chinesischen Stadt Xiaoxi zerschneidet die Betonmauer eines Staudamms ein Flusstal. Die Anlage soll auch dem deutschen Stromkonzern RWE dabei helfen, seinen Verpflichtungen zum Klimaschutz nachzukommen. Die beteiligten chinesischen Firmen hoffen auf lukrative „Carbon Credits" - Klimaschutz-Gutschriften im Rahmen eines von den Vereinten Nationen verwalteten Programms.

Ob das Wasserkraftprojekt tatsächlich dazu beitragen kann, die Emissionen von Treibhausgasen zu senken, ist fraglich. Konkrete Auswirkungen hat der Bau aber auf jeden Fall für die 7.500 Bewohner des Tals, die dem Staudamm weichen mussten. Viele von ihnen sind verbittert, weil sie Haus und Feld aufgeben mussten.

„Niemand hat gefragt, ob wir wegziehen wollen", sagt ein 38-jähriger Mann, dessen Familie ein kleines Ziegelhaus verloren hat. „Die Regierung hat einfach eine Mitteilung angeschlagen mit dem Inhalt: ´Ihr Haus wird abgerissen.´"

Kritiker sagen, dass der Staudamm auf Kosten deutscher Verbraucher, chinesischer Dorfbewohner und letztlich auch auf Kosten des Klimas geht. Und Xiaoxi ist nicht das einzige Projekt dieser Art.

Ähnliche Vorhaben gibt es in vielen Teilen Chinas und auch sonst auf der Welt. Hunderte von Wasserkraftprojekten stehen Schlange für die „Carbon Credits", die den Europäern, Japanern und möglicherweise bald auch den Amerikanern potenzielle Milliardenkosten verursachen werden. Die Wirkung dieser Projekte für den Klimaschutz wird aber von Experten als ungewiss eingeschätzt. Das vor vier Jahren eingeführte Programm Clean Development Mechanism (CDM) sei „eine exzessive Subvention, die eine massive Verschwendung von Ressourcen der entwickelten Welt darstellt", kritisiert Michael Wara von der Stanford University.

Verschlechterung der CO2-Bilanz möglich

Zwangsumsiedlungen wie in Xiaoxi sind in China an der Tagesordnung. Die Bewohner von mehreren hundert Ortschaften wurden an andere Orte verfrachtet, um Platz zu schaffen für Fabriken und Infrastrukturprojekte. Die Proteste der Betroffenen münden gelegentlich in Gewalt. Bei dem Wasserkraftprojekt Xiaoxi aber verbindet sich das autoritäre System Chinas mit westlichen Umweltidealen.

Das CDM-Programm ist eines der marktorientierten Werkzeuge, die im Rahmen des Kyoto-Protokolls von 1997 geschaffen wurden. Es ermöglicht den Industriestaaten, ihre Verpflichtungen zur Reduzierung der Treibhausgase dadurch zu erfüllen, dass sie für Projekte in Entwicklungsländern zahlen, die der Verringerung der Emissionen dort dienen.

Firmen in den reichen Ländern wie der Energiekonzern RWE mit seinen CO2-intensiven Kohlekraftwerken erreichen dies, indem sie „Carbon Credits" erwerben, welche die Vereinten Nationen für Projekte wie Xiaoxi ausgeben. Wenn aber diese Projekte ohnehin gebaut würden, entfällt der Gewinn für den Klimaschutz, wie die Kritiker einwenden.

Stattdessen kann es sogar zu einer Verschlechterung der CO2-Bilanz kommen. Denn diese Projekte erlaubten es den teilnehmenden Unternehmen, „ihre Emissionen zu erhöhen, ohne dass es zu einer entsprechenden Reduzierung in einem Entwicklungsland kommt", heißt es in einem im Dezember vorgelegten Bericht der US-Rechnungsprüfungsbehörde GAO.

UN-Datenbank ausgewertet

Die Verteidiger des CDM-Systems halten dagegen, dass dieser Mechanismus für die Industriestaaten eine wesentliche Hilfe sei, um ihre Klimaschutzverpflichtungen zu erfüllen. „Es ist ja nicht so, als ob wir Geld in der Garage drucken", sagte der Leiter des UN-Klimasekretariats, Yvo de Boer, über die „Carbon Credits". Er räumt im Gespräch mit der Nachrichtenagentur AP zwar ein, dass es da viele berechtigte Fragen gebe. Die Vereinten Nationen legten aber Wert auf größtmögliche Transparenz in diesem Prozess.

Diese Transparenz in Form von Online-Dokumenten und einer UN-Datenbank macht es denn auch möglich, diesen speziellen Markt detailliert zu untersuchen. Eine Analyse der Nachrichtenagentur AP ergab, dass Wasserkraftwerke, deren Klimabilanz als fragwürdig gilt, an erster Stelle der CDM-Projekte stehen. Und dass China am eifrigsten dabei ist, diese zu kapitalisieren.

So kommen jeden Monat im Durchschnitt 25 neue Projekte in China hinzu. Zurzeit listet die CDM-Datenbank 763 chinesische Wasserkraftprojekte auf. Bis 2012 erzeugen diese dann mehr als 300 Millionen „Certified Emission Reductions" mit dem Äquivalent einer Emissionsreduzierung um jeweils eine Tonne Kohlendioxid. Auch wenn der dafür angesetzte Preis zuletzt unter Druck geraten ist, haben diese „Credit Points" immer noch einen Wert von etwa vier Milliarden Dollar.

Bauern klagen über geringe Entschädigung

In Xiaoxi, im Tal des zentralchinesischen Flusses Zishui, denken die Bauern nicht an die Milliarden dieses „Kohlenstoffmarkts", sondern an ihre Entschädigung von ein paar tausend Yuan sowie an den Verlust von Haus und Feld. Sie klagen, dass sie bei ihrer Umsiedlung im Jahr 2005 weit weniger Geld erhalten hätten als den gesetzlich garantierten Gegenwert von fünf Erntejahren.

„Was ich bekommen habe, war sicherlich nicht genug, um ein neues Haus zu kaufen", sagt ein Mann mit seinem einjährigen Enkelsohn auf dem Arm. „Wir mussten uns noch Geld leihen." Die Offiziellen hätten sich geweigert, über die Höhe der Entschädigung zu diskutieren. „Ich lehnte ihr Angebot ab, aber sie haben uns vertrieben und es abgerissen."

Der staatliche Betreiber des Wasserkraftwerks, Hunan Xinshao Xiaoxi Hydropower Development, weist die Vorwürfe zurück. „Der von uns angesetzte Entschädigungswert war verglichen mit ähnlichen Projekten vergleichsweise hoch und in Übereinstimmung mit den Verordnungen der Regierung", sagt Wang Yi, der Assistent des Geschäftsführers. Eine Umfrage habe ergeben, dass 97 Prozent der Betroffenen mit ihrer Entschädigung zufrieden gewesen seien. Doch die Menschen aus Xiaoxi sagen im Interview, sie seien nie befragt worden.

Die Kraftwerksbetreiber in Xiaoxi warten noch auf die letzte Zustimmung der Vereinten Nationen zu den Projektkrediten. Die Bauarbeiten haben zwar einen gewissen Wirtschaftsboom in der Region ausgelöst. Der Aufschwung wird aber nur flüchtig sein, im Unterschied zu den Problemen der entwurzelten Bewohner. Eine Gruppe von ihnen hat sich noch einmal an die Behörden gewandt: „Wir bitten entschieden um eine Erklärung und eine zufriedenstellende Lösung."

Neue Branche von Beratern und Gutachtern

Das CDM-Programm hat eine ganz neue Branche entstehen lassen: Berater, die chinesischen Firmen bei Anträgen für Emissionsgutschriften helfen und Gutachter, die von den Vereinten Nationen zertifiziert werden und dann attestieren, dass die Projekte die gestellten Anforderungen erfüllen. Für Xiaoxi hat die chinesische Projektfirma den TÜV Süd engagiert. In dessen Bericht heißt es zwar, dass die betroffenen Dorfbewohner und ihre Vertreter nicht am Entscheidungsprozess beteiligt worden seien. In ihrer Substanz seien die Richtlinien aber befolgt worden, da die Lebenssitation der Betroffenen verbessert worden sei.

Die in Deutschland für den Handel mit CDM-Gutscheinen zuständige Emissionshandelsstelle (DEHSt) beim Umweltbundesamt hat die „Credit Points" für Xiaoxi Anfang vergangenen Jahres gebilligt. Wolfgang Seidel von der DEHSt schrieb der Nachrichtenagentur AP aber in einer E-Mail, dass neu aufgetauchte Fragen untersucht würden. Auch eine RWE-Sprecherin sagte auf Anfrage zu dem Projekt in Xiaoxi, das Unternehmen nehme eigene Untersuchungen vor.

Eine Schlüsselfrage ist nach Auffassung der Umweltschutzorganisation International Rivers, ob die Forderung nach einem Beitrag für eine tatsächliche Emissionsreduzierung auch erfüllt wird oder ob es sich um ein ohnehin geplantes Projekt handelt. In Xiaoxi, wo das Kraftwerk 2010 seinen Betrieb aufnehmen soll, begannen die Bauarbeiten schon 2004, zwei Jahre vor dem Antrag auf CDM-Gutschriften. Umweltschützer weisen auch darauf hin, dass die Nutzung der Wasserkraft schon seit vielen Jahren ein Schwerpunkt der chinesischen Energiepolitik sei.

Ohne Emissionskredite nicht profitabel

Firmenvertreter Wang sagt dazu, dass die CDM-Mittel der Finanzierung italienischer Techniken dienten, die wegen der komplexen Geologie des Standorts erforderlich geworden seien. „Ohne das Geld aus dem Handel mit Emissionskrediten wäre das Projekt nicht profitabel, sagt Wang.

Ein Dokument zum Bau des Wasserkraftwerks Xiaoxi erwähnt, dass chinesische Vorschriften dem Bau eines Kohlekraftwerks an diesem Standort entgegenstehen würden. Aber dieses fiktive Kohlekraftwerk diente dennoch für die Berechnung der angeblich eingesparten Emissionen bei einer Energieerzeugung von 135 Megawatt.

Der entsprechende Ausstoß von 450.000 Tonnen Treibhausgasen würde die Menge der zulässigen RWE-Emissionen erhöhen, wenn der Konzern die „Carbon Credits" von Xiaoxi kauft - zu Kosten von acht Millionen Dollar bei derzeitigem Kurs. Und diese Rechnung wiederholt sich bei 37 weiteren Wasserkraftprojekten, bei denen RWE „Carbon Credits" erwerben will. Das wären insgesamt 16 Millionen Tonnen CO2 oder das Äquivalent von mehr als einem Prozent der jährlichen Emissionen von ganz Deutschland.

Die Rechnung dafür - bei gegenwärtigem Stand etwa 300 Millionen Dollar - wird vermutlich auch für die privaten Haushalte bei der Stromrechnung zu spüren sein.

Stromkonzerne in den reichen Ländern machen ähnliche Geschäfte mit „Carbon Credits" - darunter der italienische Versorger Edison oder in Japan der Konzern Tokyo Electric. Auf der Gegenseite fließt Geld an Projekte nicht nur in China, sondern in weiteren Länder wie Peru, Indien oder Vietnam. Anstatt ihre eigenen Emissionen zu reduzieren, so kritisiert Wara, der amerikanische Professor für Umweltrecht, „kaufen die Firmen in den entwickelten Ländern Kompensationen, die keine echten Verhaltensänderungen, keine wirklichen Emissionsreduktionen bedeuten".

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